denke ich zu viel? – gerade in dieser Zeit ein muss-buch für hypersensible

Das ist für mich die Frage aller Fragen, die ich mir jeden Tag mindestens einmal stelle. Diejenigen von euch, die ihre Hypersensibilität oft mit viel Mühe durch den Alltag mit sich tragen, kennen diese Frage sehr gut. Aber wie lautet die Antwort: denke ich zu viel, zu wenig, oder ist es genau richtig? Die Autorin des Buches, das ich euch hier vorstellen möchte, scheint die Antwort gefunden zu haben. Es kommt nämlich nicht unbedingt darauf an, weniger zu denken, sondern es genauer zu verstehen und zu lernen, damit besser umzugehen. Ihre Ideen beschreibt sie in der brillanten Publikation “Ich denke zu viel: Wie wir das Chaos im Kopf bändigen können”. (Ich persönlich habe das Buch auf polnisch gelesen, das Cover seht ihr im Titelbild dieses Beitrags).

Kein klassischer Ratgeber

Der Ratgeber beschäftigt sich mit Menschen, die eine dominante rechte Gehirnhälfte haben und dadurch über eine überdurchschnittliche Wahrnehmung verfügen. Das heißt, ihr Geist steht niemals still und ihre Gedanken arbeiten ständig auf Hochtouren. Die bemerkenswerten Aspekte dieser hocheffizienten Menschen werden in drei Abschnitten beschrieben:
• die Hypersensibilität und das mäandernde Denken
• der damit verbundene Idealismus und die zwischenmenschlichen Problemen, die sich daraus ergeben
• die Lösungsansätze, die helfen, überdurchschnittliche Wahrnehmungs- und Gefühlswelt nicht nur zu beherrschen, sondern auch für sich selbst nutzbar zu machen.

Eigentlich mag ich Ratgeber-Bücher überhaupt nicht. Sie verwenden eine Sprache, die unbedingt für alle auf Anhieb verständlich sein soll, damit die Tipps direkt “anwendbar” sind. An sich ist es nicht schlecht. In diesem Werk aber ist die Stimme an ganz bestimmte Art von Menschen gerichtet. Diese Art Menschen sind nicht besser oder schlechter als die anderen – sie sind einfach besonders und in einigen Aspekten anders als der Rest von uns. Dieses Buch versteht diese Menschen, und spricht mir (und sicher vielen von euch) in großen Teilen einfach aus der Seele.

Die Autorin versteht uns richtig

Die Autorin Christel Petitcollin ist eine Psychotherapeutin, Kommunikationstrainerin und Coach für zwischenmenschliche Beziehungen. Seit vielen Jahren hört sie als Therapeutin anderen Menschen zu, beobachtet sie und versucht sie zu verstehen. In ihrem Buch verwendet Petitcollin Wortlaut (zumindest in polnischer Übersetzung), das einfach, intelligent und verständlich ist. Dadurch ist das Buch mit den Beispielen, Tipps und Ratschlägen sehr praktisch und hilfreich aber nicht banal. Als ob Autorin uns wirklich sieht, und zu verstehen versucht. Die beschriebenen Konzepte erwecken Vertrauen und bieten realistische und überzeugende Wege und Strategien zur Alltagsbewältigung an. Wir bekommen hier Werkzeuge, mit denen wir das Chaos im Kopf besänftigen, den Gedanken und Gefühlschaos beruhigen oder sortieren können, um mehr Vorteile für sich aus dieser faszinierenden Persönlichkeitszügen zu nutzen und die Nachteile zu reduzieren.

Du bist einfach so – akzeptiere es und lerne es zu schätzen

Dazu strahlt das Buch gewisse Ehrlichkeit und Simplizität aus. Wenn man zu den Hypersensiblen gehört, wenn man extrem viel wahrnimmt, oft gefüllt Chaos im Kopf hat, kaum den Gedanken hinterher kommt und wenig Einfluss darauf hat, diese zu stoppen und zu lenken, idealistisch und dadurch ein wenig naiv denkt, dann IST MAN EINFACH SO und kann wenig dagegen tun.

Durch die besondere Sprache und das Gefühl, wirklich “verstanden” zu werden, war für mich diese Lektüre eine Offenbarung. Gleichzeitig fühlte sie sich wie eine Art Wendepunkt in meinem Leben – und in der Tat eine der prägendsten Bereicherungen im traurigen Jahr 2020. Diesen besondere Erfahrung möchte ich unbedingt an Euch weitergeben.

An folgenden Beispielen und Stellen im Buch fühlte ich mich persönlich berührt und direkt durch die Autorin angesprochen:

  • Vernetztes Denken bedeutet dass die Gedanken immer weiter gehen, aneinander ständig anknüpfen und können gefühlt nicht gestoppt werden. Man merkt sich unglaublich viele Details aus der Umgebung, hier und jetzt. Man saugt diese ein, verarbeitet sie weiter, bekommt aber gefühlt dadurch nie den Kopf frei.
  • Wir glauben stark daran, dass alle Menschen grundsätzlich nur Gutes möchten, und immer nachvollziehbare Gründe für ihre Taten haben, innerlich emphatisch und sensibel sind. Aus dieser Überzeugung ergibt sich oft Frust, Enttäuschung, Selbstzweifel oder Selbstschuldgefühle – besonders wenn das Handeln anderer unverständlich, offenbar absichtlich verletzend oder egoistisch ist. Es gibt nämlich verschiedne Menschen auf dieser Welt, und das Buch bringt uns bei, diese Tatsache zuzulassen. Wir lernen damit umzugehen, ohne dass wir uns immer persönlich angegriffen fühlen und unsere Welt dadurch regelmäßig wegen auch den kleinsten Auseinandersetzungen zusammenbricht.
  • Die Unfähigkeit an sich zu denken steckt tief in uns drin (wird gleich mit Egoismus gleich gestellt). Es fällt uns so schwer NEIN zu sagen – auch zu Sachen, die uns überfordern, die uns nicht gut tun, die uns im Endeffekt frustrieren und erschöpfen. Wir tun Dinge, obwohl wir keine Zeit, Lust oder Kraft dazu haben, und nur jemandem etwas Gutes tun wollten, ohne an uns dabei zu denken.
  • Komplexes Denken gehört zu unseren Stärken. Leider glauben wir oft nicht daran oder wissen es gar nicht. Wir können nicht selbstbewusst damit umgehen und hinterfragen ständig unsere Entscheidungen. Dadurch verzetteln wir uns oft, lösen Irritation oder Unverständnis in Anderen aus.
  • Unser Umfeld versucht uns zu verunsichern, glaubt uns nicht oder untergräbt unsere Meinung (oft mit der so genannten “passiven” Aggression). Das Buch stärkt die Menschen in ihrer Hypersensibilität und zeigt, dass diese auch positiv genutzt werden kann. Sie ist ein wertvolles Asset, ein “Talent”, auf das wir stolz sein sollen. Sobald man es annimmt, und die damit verbundene Einschränkungen akzeptiert, bekommt man die Chance, richtig an diesen Gaben zu wachsen. Plötzlich ist es möglich, den Ideen-Reichtum, unser grenzloses Enthusiasmus und die positive Energie in richtige Richtung / Projekte zu lenken, besser einzusetzen und dadurch immer öfter Erfolg, Stolz und Erfüllung zu empfinden. Wir fangen an zu wachsen und lassen uns nicht mehr so leicht aus dem Konzept bringen bzw. durch andere verunsichern.

Ständiger Begleiter im Alltag

Ich kann euch versichern, dass dieses Buch nicht im Regal stehen bleibt, nachdem man es fertig gelesen hat. Es ist dazu da, um es immer wieder neu zu lesen, bestimmte, besonders zutreffende Abschnitte immer wieder neu zu entdecken und die Tipps anzuwenden. Es ist nämlich so mit uns – den Hypersensiblen: Wir lesen etwas und sind davon begeistert. Wir möchten uns alles am Besten merken, aneignen und im Alltag anwenden. Aber gleich folgen andere Gedanken, Ideen, Ausseneinflüsse, Emotionen überschlagen sich. Es werden neue Dramen und Situation erlebt, und unsere Vorsätze gehen da teilweise einfach unter.

Ich persönlich empfinde es als extrem schwer, und oft ermüdend, diesen “Veränderungsprozess” im Leben zu “steuern”, sich bestimmte Verhaltensweisen bewusst anzueignen und diese zur Gewohnheit werden zu lassen. Ich glaube aber, dieses Buch hat es mir leichter gemacht, meine Hypersensibilität bewusster zu erleben. Und ich begriff auf einmal: Dieser “verfluchter” Gedankenfluss, diese Ideenflut birgt extrem viel Potenzial, ist eine Quelle von Brillanz und außergewöhnlicher Fähigkeiten. Dieses Bewusstsein macht es leichter, gezielt die Vorteile der Hypersensibilität zu nutzen und die anstrengenden Side Effects besser zu ertragen.

Als Zusatztipp kann ich euch vom Herzen empfehlen (auch wenn das Buch sich damit explizit nicht befasst), in euren Alltag kleine Momente voller Achtsamkeit aber auch regelmäßige Yoga Trainings- und Dehnungseinheiten einzubauen. Klar, es tut einfach allen gut, hilft aber insbesondere diesen Menschen, die Schwierigkeiten haben, abzuschalten und die Konzentration und Aufmerksamkeit auf sich selbst – den eigenen Geist und Körper – zu lenken.

Andere sagen immer zu Dir…

Am Anfang des Buchs gibt es Fragen oder Situationen, die quasi austesten – bist du es oder bist du es nicht? Ich weiss, man kann die Menschen nicht einfach in 2 Persönlichkeitstypen unterteilen. Aber ich glaube doch, dass diese Unterscheidung, die die Autorin wagt, sehr zutreffend ist, und an sich genial und revolutionär ist. Vor allem aus Sicht der Hochsensiblen.

Hörst Du immer wieder mal von anderen (oder auch von deiner inneren Stimme) folgende Aussagen an dich gerichtet?:

  • Du machst dir zu viele Sorgen.
  • Die meinen es doch nicht persönlich, wenn du schon wieder jammerst, durch andere verletzt zu sein.
  • Du denkst zu viel.
  • Entscheide endlich und denk nicht über jedes Detail nach – du kannst nicht alles perfekt machen.
  • Du kannst es nicht allen Recht machen.
  • Akzeptiere es, dass die Leute es nicht immer gut mit Dir meinen, verletzend handeln (auch mit Absicht) oder gemein sein können aber nehmen es nicht unbedingt als verletzend wahrnehmen.
  • Du kannst und musst es nicht immer verstehen, warum jemand auf bestimmte Art und Weise gehandelt hat.
  • Lerne es endlich “nein” zu sagen. Wage es, dich an erster Stelle zu setzen.
  • Du bist nicht für Alle verantwortlich. Am Ende bist du für dich verantwortlich. Du kannst für andere da sein, aber du kannst andere nicht zum Glück zwingen, oder alle von deiner Meinung und Sichtweise überzeugen.
  • Lasse los.
  • Entspann dich. Lass es sein. Geniesse es einfach. Es gibt manchmal mehr Lösungen als die EINE RICHTIGE UND PERFEKTE, und ja – jede Chance birgt leider auch Risiken und Verluste in sich

Wenn Dir diese Aussagen bekannt vorkommen, dann lies dieses Buch. Und schreibe mir bitte, was Du davon hältst und ob es Dir auch geholfen hat? Ich würde mich so sehr über deine Erfahrung freuen!

Mentale Hochsensibilität mag eine Gabe sein oder manchmal auch ein Fluch. Es ist aber auf jeden Fall erlebenswert. Danke, Ola, meine liebe Freundin, für diesen großartigen Buchtipp.

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